Systembauteil
Ein Ganzglasgeländer ist ein Systembauteil, bei dem alle Komponenten zusammenpassen müssen: das Sicherheitsglas, die Befestigung am Baukörper und insbesondere die Lagerung – Bettung der Gläser – müssen aufeinander abgestimmt, gemeinsam geprüft und als Einheit auch rechnerisch nachgewiesen werden. Nur so können die erforderlichen Sicherheitsstandards verlässlich eingehalten werden.
Werden Gläser von Hersteller A bezogen und die Konstruktion und die Befestigungen von Hersteller B und C, können problematische Kombinationen entstehen. Nicht zuletzt können Beratungsfehler, Bestellfehler oder einfach nur Missverständnisse „passieren“. Niemand in der Beschaffungskette kann eingreifen, da die zusammenhängenden Kenntnisse fehlen. So ist es sogar möglich, dass komplett falsche Glasarten verwendet werden.
Häufiger sind unterschiedliche und irreführende statische Angaben nicht auf die jeweilige Bausituation und das Produkt angepasst: Oft wird der Glasausstand, der vorrangig für die Glasdimensionierung entscheidend ist, mit der Gesamthöhe (Glasausstand plus Einspannbereich) verwechselt. Diese Verwechslung führt zu gravierenden Unterdimensionierungen, insbesondere, wenn während der Detailplanung auf eine bodenbündige Montage gewechselt wird. Aber auch bei der Ermittlung der Anzahl der Dübel oder der örtlichen Justiervorrichtungen findet man in manchen Unterlagen unklare Vorgaben. Leicht werden dann vom Verarbeiter falsche Schlüsse gezogen und eine Unterdimensionierung ist die Folge. Zu groß ist die Versuchung, bei der Ausführung die Zahl von Hunderten Einzelteilen auf eine günstigere Menge zu reduzieren.
Problematische Spannungsspitzen
Wie Experten wissen, können etwa zwei Drittel aller Publikationen mit Punkthalter-Glasgeländer einer statischen Überprüfung nicht standhalten. Die zulässigen Spannungen sind oft um ein Vielfaches überschritten. Ein Glück, dass die anzusetzenden Lasten in Wirklichkeit höchst selten auftreten.
Als Richtwert wird in der ÖNORM 3716 angegeben, dass der Abstand zwischen den Punkthalterpaaren vertikal mindestens 150 mm und horizontal maximal 300 mm betragen sollte. Das bedeutet, pro Laufmeter sind rund 6–8 Punkthalter vorzusehen. Bei punktuellen Glasbefestigungen werden enorme Spannungsspitzen erzeugt – Kräfte, die so nicht sein müssten. Durch eine seriöse Statik kann die tatsächlich erforderliche Ausführung einfach ermittelt werden.
Normen im DACH-Raum
Die Normung jetzt bei der Linienlagerung auf die sich rapide häufenden Glasbruchfälle reagiert. In Wirklichkeit handelt es sich nämlich bei den meisten „Linienlagerungen“ um Punkthalter-Befestigungen mit örtlichen Spannungskonzentrationen: In der DIN 18008 ist als wesentliches Konstruktionsmerkmal der Einspannung bei Absturzsicherungen eine durchgehende Zwischenlage aus druckfestem Elastomer in Längsrichtung definiert. Alles andere ist nach Teil 3 (Punktförmig gelagerte Verglasungen) zu bemessen, denn durchgehend heißt: Linienlagerung.
Die Experten der Schweizer SIA 2057 haben klar festgeschrieben, dass bei der Glaseinspannung der Einspannbereich statisch im Detail betrachtet werden muss, da erhöhte Bruchgefahr besteht. Spannungsspitzen sind zu vermeiden. Sollten in der als Linienlagerung deklarierten Glasbefestigung einzelne Druckpunkte, meist in Form von Keilen, verwendet werden, so sind diese durch eine volldynamische transiente Simulation nachzuweisen. Dabei ist es nicht entscheidend ob es sich um Dreiecks-, Schiebe- oder Drehkeile handelt.
Jeder, der mit einem Glasgeländer-Glasbruch konfrontiert war, weiß: Ein Glasbruch geht natürlich von einem dieser Druckpunkten aus – von wo denn sonst! Damit ist der Beweis erbracht, dass die örtlichen Spannungskonzentrationen von entscheidendem Einfluss sind, was im Umkehrschluss bedeutet, dass der Glasbruch bei einer tatsächlich gleichmäßig linienförmigen Lagerung erst bei deutlich höheren Kräften passiert wäre.