NEIN ZU BILLIGPRODUKTEN
Die Leichtigkeit und die Eigenschaften des transparenten Baustoffs Glas sind besonders faszinierend, wenn man die Funktion als Absturzsicherung nutzen kann, ohne dass ein Geländer optisch in Erscheinung tritt. Dies gelingt am besten, wenn das Glas an der unteren Kante linienförmig eingespannt wird. Immer mehr Geländer-U-Profil-Hersteller drängen mit Billigprodukten auf den Markt, achten jedoch strikt darauf, dass sie nicht selbst diejenigen sind, die das fertige Produkt in den „Verkehr“ bringen. Das hat seinen guten Grund: Diese Verantwortung wird oft vorsätzlich dem Handwerker überlassen, denn manche Produkte sind schlichtweg ungeeignet. Eine dramatisch steigende Zahl von Schadensfällen in Zusammenhang mit Glas-U-Profilen beschäftigt zusehends die Sachverständigen. Besonders kritisch sind Detaillösungen, die unter die Abdichtungsebene reichen und in diese integriert sind, vor allem dann, wenn sie technisch nicht einwandfrei gelöst wurden.
Um Baumängel zu verhindern, sind fünf Dinge zu beachten:
1. LINIENLAGERUNG
Das Glas ist ausschließlich an der unteren Glaskante durch eine Einspannung befestigt. Die Glaslagerung muss gleichmäßig die gesamte Einspannhöhe und die gesamte Einspannbreite ausnutzen. Werden, im Gegensatz dazu, nur örtliche Keile verbaut, wird nicht die gesamte untere Glaskante zur Krafteinleitung und Kraftübertragung verwendet. So entstehen Druckpunkte und Spannungsspitzen wie bei einer klassischen Punktbefestigung – das hat mit einer Linienlagerung nichts zu tun.
Bei jedem Glasbruch, egal aus welchem Grund, ist der Ausführende in der Verantwortung. Der Hinweis, dass bei einer gleichmäßigen Lagerung der Glasbruch nicht entstanden wäre, ist berechtigt und kann in der Regel nicht widerlegt werden. Somit wird jeder Glasbruch auf die Spannungsspitzen in der Punktlagerung zurückgeführt.
Vergleicht man den Sachverhalt mit einer vierseitig liniengelagerten Standard-Fensterverglasung, ist klar: Ein Glasbruch, der von einem Druckpunkt, zum Beispiel einem Nagel in der Glashalteleiste, ausgeht, ist in der Regel ein Gewährleistungsfall. Jedes „normale“ Fenster hat eine vierseitige Linienlagerung. Leider hat sich bis jetzt das System der perfekten Linienlagerung bei den Ganzglasgeländer-Systemen noch nicht flächendeckend durchgesetzt.
2. ABDICHTUNG
Die Abdichtung zwischen Glas und Konstruktion erfolgt meist mit Gummidichtungen. Gummi verändert im Laufe der Zeit durch Witterungseinflüsse, Wärmeausdehnungen und durch UV-Strahlen seine Konsistenz und sein Volumen. Versucht man ein Gummiprofil mit Silikon abzudichten, so kann dies nicht gelingen, denn Peroxid-Wanderungen verändern die Materialien. Eine dichte Verbindung der beiden Materialien Gummi und Silikon ist in der Praxis nicht möglich.
Betrachtet man im Vergleich dazu eine Standard-Pfosten-Riegel-Konstruktion, so werden dort die Glaselemente allseitig, vierseitig gelagert und die Dichtungen werden mit verschraubten Klemmprofilen an die Glasscheibe gedrückt. Die Schraubenabstände und die Andruckkräfte sind klar vom Systemhersteller vorgegeben und werden mit einem Drehmomentschlüssel senkrecht zur Glasebene kontrolliert hergestellt. Wendet man sich wieder dem Thema Glasgeländer zu, so ist es bei manchen Systemen verwunderlich, dass man mit lediglich eingedrückten Gummiprofilen tatsächlich eine Dichtfunktion erreichen will. Manche Systeme verwenden sogar für unterschiedliche Glasstärken dasselbe Gummiprofil. Die Folge ist ein Eindringen von Wasser und Nässe in großen Mengen in die Konstruktion, wo dies lange unbemerkt bleibt und oft die ganze Bausubstanz schädigt. Meist verursacht das Wasser auch eine vorzeitige Delamination des Verbund-Sicherheitsglases. In der Norm „Glas im Bauwesen – konstruktiver Glasbau“ ist klar geregelt, dass die Abtrocknung von frei liegenden VSG-Kanten nicht behindert werden darf. Es steht nicht geschrieben, dass Entwässerungslöcher vorzusehen sind, damit eingedrungenes Wasser irgendwohin geleitet werden kann, was in der Regel ohnedies nicht funktioniert.
3. SCHRÄGLAGE
Bei einer punktuellen Glaslagerung entstehen zwischen den Lagerpunkten Hohlräume, die sich bei einer ungenügenden Abdichtung mit Wasser, gefrierender Nässe und Schmutz füllen. Manchmal bildet sich sogar ein Nährboden für eine Vegetation. Dadurch kommt es zu Veränderungen im Lagerbereich. Ganzglasgeländer setzen den Windkräften einen großen Widerstand entgegen. Diese Windkräfte, die ständig das Glasgeländer und seine Befestigung beanspruchen, werden oft unterschätzt, da das Glas ja durchsichtig ist und nicht als geschlossene Platte, ähnlich einer Werbetafel, erkannt wird. Keinesfalls sind Erfahrungen eines Stahlstabgeländers, das dem Wind keinen Widerstand bietet, auf ein geschlossenes Ganzglasgeländer übertragbar. Die hohen Kräfte und der lange „Hebel“ des auskragenden Glasgeländers bewirken, dass das U-Profil einfach aufgebogen wird. Zahlreiche Versuche haben bewiesen, dass fast alle Aluminium-U-Profil-Systeme ihre Form und damit auch die Glaslagerung verändern. Bereits bei einer einmaligen Belastung des Glases kehrt dieses nicht mehr in die ursprüngliche, senkrechte Position zurück. Dieses schräge Glasgeländer hat in der praktischen Umsetzung nichts mit einer mangelhaften Montage zu tun, wie oft behauptet wird, sondern ist einem nicht gebrauchstauglichen System zuzuschreiben.
4. SICHERHEIT
Ein Ganzglasgeländer ist ein sicherheitsrelevantes Tragwerk. Wird ein Ganzglasgeländer aus einzelnen Komponenten wie Glas, Stahlteilen, Aluminiumprofilen unterschiedlicher Lieferanten zusammengebaut, muss der „Inverkehrbringer“ nach DIN EN 1090 EXC 2 zertifiziert sein. Wird ein System mit allen Komponenten verwendet, muss lediglich der Systemhersteller die Zertifizierung besitzen. Ganzglasgeländer brauchen Prüfungen, Zulassungen und vieles mehr, unter anderem auch ein „allgemein bauaufsichtliches Prüfzeugnis“. Die Ausführung wird durch eine Übereinstimmungserklärung garantiert. Besonders bei der Umsetzung ist darauf zu achten, dass den Herstellerangaben entsprochen wird. Sicherheit geht vor. Denn wenn Leib und Leben betroffen sind, ist die höchste Sorgfalt erforderlich.
5. LEISTUNGSTRENNUNG
Eine besonders große Bedeutung kommt der Leistungstrennung zu: Wenn die Verantwortlichkeiten vor Baubeginn nicht eindeutig geklärt wurden, sind bei einem Schaden oft alle Beteiligten mit im Boot. Es braucht einen Fachmann, der für die Abdichtung zuständig ist. Ein anderer ist für die Stabilität und die Konstruktion des Ganzglasgeländes verantwortlich. Ein Dritter sorgt für die daran anschließenden Leistungen, wie zum Beispiel den Gehbelag. Ein Vierter plant die Ausführung und koordiniert die einzelnen Gewerke. Sind die Leistungsgrenzen eindeutig geklärt, ist auch die Verantwortlichkeit klar geregelt. Ist jedoch das verwendete System eine Mischung aller Gewerke, wenn zum Beispiel die Entwässerungskanäle in das Konstruktionsprofil integriert sind, sind auch die Verantwortlichkeiten kaum trennbar.
FAZIT
Die wichtigste Maßnahme, um Schäden zu vermeiden, ist eine frühzeitige Detailplanung. Das entscheidendste Qualitätskriterium ist die System-Auswahl. In der Regel wird das System vom Ausschreiber festgelegt. Dabei auf das billigere Produkt zu setzen, ist nicht immer von Vorteil. Oft ist es auch ratsam, nicht jeden konstruktiven Gedanken auch tatsächlich umzusetzen. Leider stellen sich Schäden in der Regel erst nach fünf bis zehn Jahren ein. Wie immer gilt: Ein verlässlicher Partner ist das A und O.
DREI GÄNGIGE AUSFÜHRUNGSVARIANTEN IM VERGLEICH:
Integrierte Systemlösung – Alu-U-Profil
- Dichtung, U-Profil-Öffnung bei Krafteinleitung
- Mischkonstruktion mit hohem Schadenspotenzial
Herkömmliche Lösung – Stahl-Konstruktion
- mit gleichmäßiger Glaslagerung
- freie Glaskanten, mit Glas-Lochbohrungen
- Leistungstrennung
Modullösung – vorgefertigte Bauelemente
- optimale Glaslagerung durch Verklebung
- geschützte Glaskanten, voll vergossen
- Leistungstrennung
Autor: Glas Marte Geschäftsführer Bernhard Feigl, Landesinnungsmeister und Glasermeister